jessicagisso - 02 Leseprobe


02 Die Erinnerung der Schatten

 

Das beruhigende Geräusch des EKGs ließ mich die Augen öffnen. Wo war ich? Ich erinnerte mich an gar nichts mehr! In meinem Kopf herrschte nur Leere.

Mein Kopf dröhnte, aber trotz der Muskelschmerzen in den Beinen, setzte ich mich auf. Das leise Geräusch im Hintergrund war ein Brummen. Ich war in einem Keller, das verriet das kleine Fenster über dem Schreibtisch, auf dem ein Computer stand. Daher kam also dieses schreckliche Brummen!

Es gab keine Gespräche, die ich nachvollziehen konnte, nicht mal ein Geräusch, das mir bekannt vorkam. Wo war ich zuletzt gewesen? Ich dachte scharf nach, aber es fiel mir einfach nicht ein.

Meine Muskeln krampften sich zusammen und ein stechender Schmerz fuhr durch meinen Kopf. Bruchstücke kamen zum Vorschein. Schüsse! Jemand, der mich ohrfeigte.

Ohrfeigte? Wieso wurde ich geohrfeigt?

Mein Körper war taub! Waren das die Nachwirkungen einer Droge, die man mir verabreicht hatte? Die Hände hörten einfach nicht auf zu kribbeln. Mein Kopf dröhnte und ich stöhnte leise vor Schmerzen. Ich hatte doch nichts getrunken und keinen Kater?

Wie in Trance riss ich mir die EKG-Kabel, die unter meinem T-Shirt klebten, von der Brust und ich hatte Mühe mich aufzusetzen, da mir schwindlig war. Als ich versuchte aufzustehen, gaben immer wieder meine Beine nach. Meine Füße und Beine waren nackt, aber ein weites schwarzes T-Shirt hing über meinen Schultern.

 

Mit jeder Minute, die verging, bekam ich wieder die Kontrolle über meine Beine und belastete sie ein bisschen. Ich musste weg von diesem Ort! Ich wusste, dass ich nicht sicher war!

Ich drückte mich von der Krankenbahre ab und schwankte zum Schreibtisch. An das Gesicht, auf dem Computermonitor, konnte ich mich erinnern! Braunes, ohrlanges Haar und braune Augen. Das Gesicht dieses Jungen war tief in mir eingebrannt, denn ich würde ihn nie vergessen! Ein dreizehnjähriger Junge, mit wunderschönen dunklen braunen Augen, lächelte mich an.

„Damon!“ Mit zittrigen Fingern strich ich über den Monitor und mir wurde ganz warm ums Herz. Ich gehörte zu dem Jungen! Doch wo war er?

 

Meine Kehle war ganz trocken von der stickigen Luft. Ich hatte Schwierigkeiten beim Atmen und schüttelte den Kopf, um wieder Herrin meiner Sinne zu werden. Wie war ich bloß in diese Situation geraten? Wo um Himmelswillen war ich überhaupt?

Mein Kreislauf sackte in den Keller und ich merkte, wie trocken mein Hals war. Ich musste mich am Schreibtisch abstützen, da die Gefahr bestand, dass ich zusammenbrach, denn ich schien völlig dehydriert zu sein. Durch meine schwankende Haltung bewegte sich die PC-Maus und das Gesicht des Jungen verschwand. An Damons Stelle erschien eine lange Abfolge von Zahlen.

„3   23   30“, las ich laut vor. Die letzte Zahlen, lief im Sekundentakt weiter. Warum konnte ich in den Zahlen keine Bedeutung erkennen?

Ich konnte mich nicht erinnern! Krampfhaft versuchte ich mir vorzustellen, was ich zuletzt getan hatte, aber es gelang mir nicht! In meinem Kopf herrschte diese Leere, die nicht gefüllt werden wollte. Natürlich erinnerte ich mich an Damon, konnte ihn aber mit keiner Situation verbinden. Nur eins war klar, ich hatte einen kleinen Bruder, mit dem Namen Damon!

 

Mir wurde schlecht, und ehe ich mich versah, hing ich mit dem Kopf über dem Papierkorb und würgte, bis ich die Magensäure erbrach. Mein Kopf dröhnte von den verzweifelten Versuchen, etwas wieder zu erkennen und mein Körper rächte sich für den zwanghaften Versuch, die Leere im Kopf zu füllen.

Ich wollte wissen, was geschehen war! Gab es keinen Arzt, der nach mir sehen sollte? War ich entführt worden und die Entführer warteten hinter der Tür?

In meinem Kopf drehte sich alles und die wildesten Fantasien machten mir Angst. Benommen wischte ich mir mit dem Handrücken über den Mund. Wo war mein Bruder? Aber noch viel wichtiger war, wer war ich?

 

„Verdammte Scheiße!“ Wie eine Wahnsinnige zog ich die Schubladen des Schreibtisches auf, aber dort war nichts zu finden. Kein Stift, nicht mal ein Stück Papier! Der Raum war wie ausgestorben! Aus irgendeinem Grund klopfte ich sogar den Fußboden ab, aber jedes Klopfen, hörte sich gleich an. Alles schien normal zu sein, bis auf mich selbst. Wie kam es, dass ich den Fußboden abklopfte oder nach geheimen Fächern im Schreibtisch suchte? Was dachte ich mir dabei, die Wand abzuklopfen, ob es irgendwelche Hohlräume gab? Ich kam mir wie eine bescheuerte Spionin vor!

 

Dort unten war Nichts, was mir helfen konnte. Also stolperte ich durch die Tür, die zur Kellertreppe nach oben führte. Dann fand ich mich in der Küche des Hauses wieder.

„Hallo? Ist hier jemand?“ Ich sah durch die Küche, aber diese war leer und verlassen. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, das gewaschene Geschirr in die vorgesehenen Schränke zu räumen.

Das war kein Raum, an den ich mich erinnerte!

Eine weitere Treppe, rechts von mir, führte von der Küche in die obere Etage. Sollte ich es wagen, in einem fremden Haus umherzuschleichen? Vielleicht war es ja mein Haus? Nein, das konnte ich mir nicht vorstellen, dafür war ich zu jung.

Erleichtert atmete ich auf, denn ich erinnerte mich an etwas. Ich war vielleicht achtzehn Jahre alt. Endlich ein Anhaltspunkt! Es war ein Anfang!

 

Langsam lief ich nach oben. Die Zimmertüren standen offen, nichts war zu hören. Zwei Schritte konnte ich gehen, dann stach mir etwas Spitzes in den Fuß. Zu spät bemerkte ich die zerschlagene Glühbirne auf dem Teppich und bei meinem Glück war ich barfuß.

Auf Zehenspitzen lief ich vorsichtig um die Scherben herum und sah in das erste Zimmer. Das Kinderzimmer eines Babys war verlassen, genau wie das Bad und das Schlafzimmer zur Nordseite. Etwas stimmte nicht an dem ganzen Bild. Wo waren die Eigentümer des Hauses?

Ich lief zum Fenster des Schlafzimmers zur Nordseite und sah hinaus. Es war eine Wohnhaussiedlung. Die Einfahrt war leer und es waren keine Autos auf der Straße zu sehen. Es gab keine neugierigen Nachbarn, die aus dem Fenster sahen. Keine Kinder, die auf der Straße spielten. Die Straße war komplett unbewohnt und ich war alleine. Was war bloß passiert?

Gab es einen Terrorangriff? War ich die einzige Überlebende nach einem Virusangriff? Gab es überhaupt eine Welt außerhalb des Hauses?

 

Ich verlor das Gleichgewicht und stützte mich auf der Kommode, unter dem Fenster, ab. Plötzlich fühlten sich meine Fingerspitzen merkwürdig an. Als ich zu meinen Händen hinunter sah, begriff ich nicht gleich, was anders war. Mein Gehirn brauchte länger als sonst, um die Antwort zu erkennen. STAUB!

Hastig sah ich mich genauer um. Der ganze Raum war in ein dunkles Grau gehüllt, selbst der Fußboden und die Möbel waren damit bedeckt. Die Fußabdrücke auf dem Boden waren deutlich zu erkennen und ab da wusste ich, in diesem Haus war seit Monaten niemand mehr gewesen!

In mir breitete sich Panik aus. Wo war meine Familie?

 

Ich flüchtete in die untere Etage und wohin ich auch sah, nur Staub. Betroffen schlug ich die Hände vor den Mund, um nicht zu schreien. Was war, wenn ich die einzige Überlebende auf der Welt war? Gab es einen Atomkrieg? Hatte sich die Natur gerächt und die anderen Erdbewohner ausgelöscht? Wenn es so war, warum war ich dann immer noch da?

 

Da hörte ich das Geräusch zum ersten Mal. Zuerst dachte ich, jemand würde schreien, aber als es lauter wurde, deutete ich es als Kreischen.

Neugier trieb mich voran und ich lief zum Fenster im Wohnzimmer, zog die Gardine ein Stück zur Seite und freute mich. Dort draußen war ein Überlebender. Ich war also nicht alleine!

Schnell lief ich zur Haustür, öffnete diese und rannte nach draußen. „Hallo!“, rief ich, während ich mit schnellen Schritten über den Rasen lief. „Ich bin so froh, jemanden zu sehen!“

Der Mann drehte sich zu mir um und ich stoppte ruckartig. Was ich da vor mir sah, entsprang aus meinen schlimmsten Albträumen.

Ihm fehlte das halbe Gesicht, seine Zähne waren dunkel und seine Augen waren blutunterlaufen. Seine Kleidung war zerrissen und mit Blut und Erde überzogen.

Das durfte nicht wahr sein!

OH MEIN GOTT!

Er fauchte mich wie eine Katze an und setzte sich in Bewegung. Er rannte direkt auf mich zu!

Ich reagierte sofort, stolperte fast über meine eigenen Füße und hastete dann zurück ins Haus, schloss die Tür und atmete schnell. Was war mit dem Kerl los? Der sah aus, als wollte er mich fressen! Ich lehnte mich mit vollem Gewicht gegen die Haustür und wartete auf den Versuch, dass er die Tür öffnen wollte. Ich wartete regelrecht auf den Stoß, dass die Tür aus den Angeln geschlagen wurde.

 

Es gab ein lautes Krachen! Das Glas gab nach, und ehe ich es realisierte, war das Ding im Wohnzimmer. Das Monster schnupperte und zog die Luft zischend in die Lunge.

Ich hielt die Luft an und versuchte mich nicht zu bewegen, denn in diesem scheiß Haus gab es keinen sicheren Ort.

Schritte halten dumpf auf dem Fußboden. Als sich unsere Blicke trafen, sah ich Dunkelheit. Ich verlor das Bewusstsein!


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