jessicagisso - 01 Leseprobe


01 Die Jägerin der Schatten

 

Aus Dark City raus zu kommen, war gar nicht so schwierig, wie manche dachten. Doch wie in jeder anderen Stadt, gab es Sicherheitsvorkehrungen, die normalerweise eingehalten wurden. Jeder musste eine kurze Blutprobe abgeben, wie bei einem Zuckertest und wurde dadurch gescannt, ob man den Virus in sich trug oder nicht. War man negativ, durfte man passieren. Zeigte der Scanner ein positives Ergebnis, wurde man auf der Stelle exekutiert.

Vor dem großen Stahltor wartete eine ganze Autokolonne darauf, ausreisen zu dürfen. Die nächste Stadt lag etwa hundert Kilometer südlich von Dark City. Durch unterirdische Tunnel waren die Städte miteinander verbunden und kein Schatten konnte sich durch eine Tonne puren Stahl kratzen.

Die Ereignisse vor drei Jahren hatten gezeigt, dass die Regierung alles unternehmen musste, um eine erneute Infizierung zu verhindern. Die Ereignisse vor drei Jahren hatten dem Militär vor Augen geführt, dass sie nicht alles in Griff hatten.

Mehrere Sonderkommandos wurden zusammengestellt und das FÜW, Fälle übernatürlicher Wesen, wurde speziell dafür ausgebildet. Die Spezialeinheiten wurden hinzugezogen, sobald Infizierte in Erscheinung traten. Zusätzlich lösten sie die örtlichen SWAT-Teams ab und übernahmen die Sicherheit der Bezirke außerhalb der Mauer.

 

Ich strich mir die hellblonden Wellen hinters Ohr und bog vor dem Sicherheitsgebäude nach rechts ab. Lässig schlenderte ich etwa einen Kilometer weit, bis ich die gewohnte Stelle fand. Seit der Nacht, vor drei Jahren, suchte ich einen Weg, um es zu verstehen. Herausfinden, warum ich so kalt reagiert hatte und jeden tötete, der sich mir in den Weg stellte. Als das Magazin leer war, beendete ich ihre Leben mit bloßen Fingern und das ließ mich nicht mehr los. Nacht für Nacht wiederholten sich die Ereignisse in meinen Träumen, aber auch nach drei Jahren hatte ich keine Antwort darauf. Warum war ich die einzige Überlebende? Den Grund für meine Gefühlskälte verstand ich bereits, denn ich wurde von Anfang an mit dem Wissen groß gezogen, dass ich anders war. Das Schicksal hatte mich für Höheres berufen und da würden Gefühle nur zu Fehlern führen, die ich mir nicht leisten konnte.

 

An der Mauer gab es genügend Häuser, aber im Gegensatz zur Innenstadt waren sie nur zwei Stockwerke hoch. Vier Meter, mehr erlaubte die Bauaufsicht nicht, wenn man in der äußeren Zone lebte. Zu hoch war das Risiko, das sich jemand über die zehn Meter hohe Mauer schlich. Die Regierung hatte aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt!

Tja, mit mir rechneten sie nicht, denn was andere aufhielt, reizte mich umso mehr.

Vor der Seitengasse sah ich mich noch mal kurz um und trat tiefer in die Gasse. Ich blieb direkt vor der Mauer stehen, ging ich in die Hocke, sprang in die Höhe und bekam die Dachrinne zu fassen.

Mühelos zog ich mich an dem ächzenden Metall hoch und wanderte über die Dachziegel. Da ich das oft genug gemacht hatte, kannte ich mittlerweile jede Bewegung, die ich machen oder lassen durfte, um auf die Mauer zu gelangen.

Vor mir ragte die Metallmauer aus dem Boden, die zehn Meter hoch war. Mit Leichtigkeit nahm ich Anlauf und sprang die sechs Meter hoch, bis ich die Mauerkante zu greifen bekam. Wie die Male zuvor, zog ich mich hoch und setzte mich dann auf die Kante der Mauer.

Mein Blick lag auf den Dächern von Dark City, deren Glanz ich schon immer bewundert hatte. Millionen von Menschen und Wesen, eingesperrt in eine Stadt hinter hohen Mauern. Ich selbst bezeichnete Dark City als meinen persönlichen Käfig, denn wo man auch hinsah, es gab Gesetze, die jeder befolgte.

Also jeder, bis auf mich!

Viele beugten sich dem Mann, der die Stadt regierte, doch in mir gab es nur blanken Hass, dem ich diesem Mann entgegen brachte. Joachim Schneider war der Teufel in Person, denn auch er trug nur eine Maske für die Gesellschaft. Dieser Mann hatte nichts mehr mit einem Politiker zu tun, sondern war ein korruptes Arschloch, für den es nur um Geld ging. Die Steuergelder investierte er in sein teures Penthouse, während zehn Prozent der Stadtbewohner kein Dach über dem Kopf hatten. Joachim schmiss teure Partys, während andere kaum wussten, was sie am nächsten Tag essen sollten.

Ich wollte das ändern, ich würde das ändern!

 

Langsam hob ich die Beine und drehte mich zur weit entfernten Welt, die mir zu Füßen lag. Schon in der Schule wurde einem eingetrichtert, das es Hochverrat war, die Stadt zu verlassen und sollte man dabei erwischt werden, wäre die Hinrichtung die bevorzugte Strafe.

Seit der letzten Jahrtausendwende waren etliche Jahrzehnte vergangen, aber wir sprachen immer nur vom Tag der Wende. Der Tag eins nach dem großen Krieg, dem Millionen zum Opfer fielen. Die FÜW-Akten über Infizierte und Schatten wurden monatlich mit der Sonderausgabe der Zeitung verteilt, damit niemand vergaß, warum wir so lebten.

Unsere Regierung errichtete die Mauern, damit wir sicher vor den Infizierten waren. Die Schatten wurden mittels Sonnenlichtschranken ferngehalten. Doch für die Monster innerhalb der Mauer fühlte sich niemand verantwortlich. Etliche Todesfälle, weil man sich mit dem falschen Vampir einließ. Ritualmorde von Hexen. Jeden Monat leere Straßen, wenn der Vollmond am Nachthimmel stand und die Werwölfe aus ihren Löchern krochen.

Die Infizierten konnten nichts für ihr Dasein, aber die Wesen innerhalb der Gesellschaft tarnten sich mit einem Lächeln, hinter dem man kein sadistisches Arschloch vermutete. Eigentlich sollte die Polizei sich um so etwas kümmern, doch die Kriminalitätsrate und der Drogenkonsum hatte drastisch zugenommen, dass kaum noch Zeit für die richtigen Verbrechen blieb. Das FÜW war oft vor der Mauer beschäftigt, also gab es niemanden, der sich darum kümmerte. Niemanden bis auf mich!

 

Ich versicherte mich, dass kein Soldat vor der Mauer seinen Rundgang lief, und sprang die zehn Meter in die Tiefe. Im Schatten des Stahls kam ich auf die Füße und rannte los. Mein Ziel war der Wald.

Etwa sechshundert Meter musste ich zurücklegen, bis mir der Duft von frischer Erde in die Nase stieg. In der Nacht hatte es geregnet, deshalb konnte ich es bereits vierhundert Meter vor Waldbeginn riechen. Viele Bewohner von Dark City würden den Kopf schütteln, denn niemand hatte solch einen guten Geruchssinn. Tja, bis auf mich. Immerhin war ich keine von ihnen. Ich war eine Rarität, jemand den man nur aus Erzählungen und Horrorgeschichten kannte. Eine Frau, die niemals älter als achtzehn aussehen würde und über Mächte verfügte, die sich keiner vorstellen konnte.

 

Ich rannte etwa einen Kilometer tiefer in den Wald und begann erst wieder langsamer zu werden, als ich die Lichtung vor mir sah. Umringt von Bäumen lag eine Wiese, die ich bei meinen Abenteuern als Wandlungspunkt nutzte. Neun Kilometer Spielradius, weiter durfte ich mich nicht vorwagen, denn der Barrierezauber würde sofort Alarm schlagen, wenn sich etwas durch die Barriere hinweg setzte.

Kam es von außen nach innen, wurden die Kameras aktiviert. Wäre es ein Infizierter, würde man ein FÜW-Team los schicken, um das Problem zu beseitigen. Meistens waren es Tiere, die sich näher an die Stadt trauten und durch die Wärmebildkameras wurden die Kleintiere dann als geringes Sicherheitsrisiko eingestuft.

Die Sonne stand hoch am Himmel und ließ die Lichtung friedlicher erscheinen, als sie war, aber ich wusste es besser! Es gab Millionen von Gründen, warum es verboten war, die Stadt zu verlassen. Denn hinter dieser friedlichen Umgebung lag die Zone der Infizierten.

Zerstörte Städte, in denen die Infizierten hausten und auf ihre Opfer warteten. Sie scharten sich um die Verstecke der Schatten, die ihre Erzeuger waren. Die schwarze Zone!

 

„Adriana!“

Ich seufzte genervt, denn nicht mal hinter der Mauer hatte man Ruhe! Die beiden Gestalten konnte ich als meine Freunde identifizierte, aber ein Soldat wäre mir lieber gewesen. Den hätte ich einfach ausschalten können und den restlichen Nachmittag genießen.

„Was wollt ihr?“

„Dich begleiten“, erklärte Dylan und legte den Kopf schräg, als könnte sie mich damit besänftigen. Meine beste Freundin versuchte immer wieder, eine Emotion aus mir herauskitzeln, aber auch dieses Mal, war mein Blick starr und undurchdringlich.

Seit drei Jahren weigerte ich mich strikt, die beiden mitzunehmen, denn sie würden sterben, wenn sie auf einen Infizierten trafen. Hier draußen war es nicht sicher für sie, aber mal wieder ignorierten sie meine Warnung.

Ich streifte die Schuhe ab und zog mir die Hose von der Hüfte. Unterwäsche und T-Shirt folgten, die ich sauber zusammenlegte und unter einem Laubhaufen versteckte. Bradley und Dylan hatten sich bereits abgewandt, damit ich wenigstens, für diesen kleinen Teil, Privatsphäre hatte.

 

Das Jucken, das mich seit Stunden nervös machte, wurde zu einem Brennen. Mein Herz schlug doppelt so schnell wie normal, als ich mich auf die Knie fallen ließ und die Hände in die kalte, nasse Erde drückte.

Ich hieß den Schmerz willkommen, der meinen Körper durchfuhr und mich erleichtert aufstöhnen ließ. Ich biss die Zähne zusammen, als meine Finger und Zehen brachen, um sich neu zu formen. Als ich runter schaute, waren dort Pfoten, die mit schwarzem Fell überzogen waren.

Ich warf den Kopf in den Nacken und schloss die Augen.

 

Fünf Sekunden!

Die Knochen in meinem Rücken drückten sich gegen die Haut, als sie sich verschoben und neu formatierten. Manche beschrieben es, als würde man jeden einzelnen Bruch fühlen, aber ich sah das eher gelassen.

Noch vier Sekunden!

Meine Haut wurde mit Nadelstichen übersät, als sich die kleinen, feinen Haare nach außen drückten, um meinen Körper mit weiterem Fell zu übersehen. Jeder Millimeter wurde mit schwarzem, buschigem Haar überzogen.

Nur noch drei Sekunden!

Ich bog den Rücken durch, als meine Fußgelenke brachen, um sich neu zu gestalten. Aus Füssen wurden Pfoten, aus Fußnägeln Krallen.

Verdammte zwei Sekunden!

Mein Gesicht schmerzte, als sich aus meiner kleinen Stupsnase und dem zierlichen Mund, eine Schnauze formte.

Die Sekunde vor dem Tod!

Die Farben wichen aus meinem Raster, nun gab es nur noch Schwarz, Weiß und Grau. Manche würden mich nicht von einem schwarzen Husky unterscheiden können, aber jeder, der meine roten Augen sehen würde, wusste, dass ich eine Wölfin war.

 

Ich hob die Schnauze und zog den warmen Geruch der Erde in mich hinein. Mit der Zunge leckte ich über die scharfe Zahnreihe und wackelte dann mit den Ohren. Alles war wie immer im tadellosen Zustand!

Ich schnaubte, als die Nase juckte, schlug mit der Pfote nach der empfindlichen Stelle und grub dann die Schnauze in den Waldboden, damit das Jucken aufhörte.

All die menschlichen Gefühle wurden zur Seite gedrängt, denn das Raubtier in mir, übernahm die Führung! Ich war eine Wölfin, die sich außerhalb des menschlichen Rasters bewegte. Dies war mein Wald und ich konnte tun und lassen, was immer ich wollte!

Das war mein Revier!

 

Ich rannte, denn außerhalb der Stadt musste ich weder auf den Verkehr noch auf Menschen oder Wesen achten. Die Stadt, von der ich mich nun entfernte, war ein Gefängnis, aber statt Gittern gab es die zehn Meter hohen Mauern. Aber auch diese Sicherheitsvorkehrungen konnten mich nicht aufhalten.

Meine Freunde und ich hatten schon vor langer Zeit einen Weg gefunden, uns außerhalb der Reichweite des Systems zu bewegen.

Die Äste, rechts von mir brachen, und als ich den Kopf in die Richtung drehte, konnte ich Dylan sehen, wie sie zum Sprung ansetzte, um mich zu Fall zu bringen. Ihre menschliche Gestalt flog durch die Luft, aber ich bremste scharf ab, dass meine Freundin in das Gebüsch rutschte.

Schnaubend umkreiste ich die Hecke, in der Dylan lag und sich die Blätter aus dem Haar zog. „Kannst du nicht einmal so tun, als hätte ich eine Chance?“

Auch wenn sie meine beste Freundin war, würde ich mich ihr gegenüber nie anders verhalten, als ich war. Nie würde ich mich schwächer geben, um ihr einen Gefallen zu tun.

Bradley könnte die Gestalt eines Pumas annehmen, blieb aber in seiner menschlichen Gestalt, um Dylan besser beschützen zu können. Während meine Freundin mir blind vertraute, tat das mein bester Freund nicht. Er hatte nie ein Wort darüber verloren, was ich vor drei Jahren getan hatte, aber schien mich zu durchschauen. Er beobachtete jede meiner Handlungen und versuchte aus mir schlau zu werden, doch ich gab ihm nie einen Grund an mir zu zweifeln.

Wir beide konnten zwischen menschlicher und tierischer Gestalt beliebig wechseln, behielten aber immer die Kontrolle. Da er sich mir angeschlossen hatte, wurde zuerst die Hierarchie geklärt. In einem fairen Kampf wurde ich Alpha, während er die Rolle des Betas übernahm. Mein Wort war Gesetz, er folgte.

Unter anderen Umständen hätten wir Gestaltenwandler einander nicht geduldet, aber Bradley und Dylan waren meine besten Freunde, die ich aus der Grundschule kannte. Sie waren mein Rudel, meine Familie, der Grund meiner Existenz.

Obwohl es untypisch war, sich mit anderen Raubtieren anzufreunden, konnte ich mir niemand besseren vorstellen, wenn ich einen Partner zum Rennen brauchte. Aus dem raufenden Puma wurde mein bester Freund!

 

In menschlicher Gestalt sprang Bradley links aus dem Gebüsch von mir, aber ich konnte ihm gerade noch ausweichen. Er krachte auf den Waldboden und versuchte dann nach meiner schwarzen Hinterpfote zu greifen. Ich war schneller, sprang aus seiner Reichweite und hopste vor ihm hin und her. Eigentlich müsste mein Spieltrieb einsetzen, aber wie gesagt, ich war anders. Jedes logische Gesetz wurde außer Kraft gesetzt, sobald ich mitmischte.

„Kannst du uns nicht einmal gewinnen lassen?“ Dylan half dem maulenden Bradley auf die Beine und beobachtete mich mit ihren braunen Augen. Dylan trug eine schwarze Lederjacke, da es trotz Frühsommer frisch war, sonst hätte man ihre ganzen Tattoos gesehen. Sie trug ihr kurzes, pinkes Haar wild zu allen Seiten, als wäre sie gerade erst aus dem Bett gekrochen. Ihre braunen Augen waren dunkel geschminkt und ihr Lippen strahlten im passenden pinken Ton. Jeder Mann, dem Dylan begegnete, war von der Vielfalt ihrer Tätowierungen verzaubert. Denn es gab kaum eine Stelle, die nicht in Mitleidenschaft gezogen wurde. Schwarze, geschwungene Ornamente schlängelten sich an ihrem Arm hoch, die unter ihrer Lederjacke nur ein Tanktop trug. Die vielen Piercings gingen bei dem Gemälde fast unter. Aber ich wusste, dass meine Freundin nicht nur Piercings in der Augenbraue, Nase, Unterlippe und der Zunge besaß, sondern Kopfabwärts noch weitere fünf Stück. Bradley würde sicher jeden Zentimeter ihres Körpers kennen.

 

Ein Windstoß brachte die Witterung eines Hasen mit sich und all meine Instinkte schalteten in den Raubtiermodus. Ich rannte los.

Es fiel mir leicht den Rhythmus der Beine zu finden, denn es war so leicht wie atmen, man musste es einfach tun. Rennen! Freiheit! Mehr brauchte ich nicht, um glücklich zu sein.

Je schneller ich der Spur nachjagte, desto besser fühlte ich mich. Wenn ich nicht an die Wandlung gebunden wäre, würde ich die Gestalt der Wölfin bevorzugen. Meine Zähne waren perfekte Waffen, mein schwarzer Körper durchtrainiert. Mit den Insekten im Wald könnte ich mich arrangieren und Nahrung würde ich in der Tierwelt finden. Das Leben wäre perfekt, wenn ich in der Gestalt bleiben könnte.

Leider hatte alles seine Vor- und Nachteile!

Mein Körper würde spätestens in zwölf Stunden nach der Menschlichkeit greifen und es war egal, ob ich wollte oder nicht, ich würde mich zurück verwandeln. Mensch und Wolf! Sie verstanden sich als Freunde, aber arrangieren konnten sie sich nicht. War ich ein Mensch, wollte die Wölfin ans Tageslicht. War ich eine Wölfin, verlangte der Mensch nach Aufmerksamkeit.

 

Die Pfoten grub ich ins Unterholz und kauerte in Angriffsstellung. Die Ohren teilten mir mit, dass der Hase bald meinen Weg kreuzte und ich würde geduldig sein. Keine meiner menschlichen Stärken, aber als Wölfin konnte ich stundenlang warten, bis ich die Beute mit den Zähnen zerriss.

Der Hase kam aus dem Dickicht geschossen und bemerkte zu spät, dass ich auf ihn wartete. Mit einem Schnappen packte ich das Fell im Nacken und begann ihn zu schütteln, bis das Genick brach.

Ich riss und zerrte mit dem kräftigen Kiefer an dem Hasen, bis Sehnen nachgaben und ich meinen Hunger stillen konnte. Lucas würde mit mir schimpfen, da die Wölfin mich lenkte, aber ich war eben mehr Tier als Mensch. Ich liebte es, das tun zu können, was ich wollte.

 

Tote Zweige brachen und ich ließ ruckartig von dem Hasen ab. Meine Augen suchten die Gegend ab, aber kein weiteres Geräusch folgte. Ich hätte schwören können, dass ich beobachtete wurde, aber da musste ich mich wohl geirrt haben.

Gerade wollte ich mich wieder an dem Hasen zu schaffen machen, als meine Nackenhaare sich aufstellten, denn etwa hundert Meter neben mir raschelte es. Da war eindeutig etwas! Ich war nicht mehr allein!

Ich setzte mich in Bewegung, aber nicht, um meinen Beobachter zu konfrontieren, sondern um meine Freunde zu warnen. Bevor ich in Versuchung kam, den Unruhestifter zu stellen, musste ich meine Freunde in Sicherheit bringen. Dylan wäre niemals dem Angriff eines Raubtieres gewachsen und Bradley war immer noch in menschlicher Gestalt. Müsste er sich verwandeln, könnten die fünf Sekunden der Wandlung über Sieg und Niederlage entscheiden.

 

Ich sprang über Baumstämme, wich Gebüschen aus und versteckte mich unter dem Dickicht. Lauernd hielt ich mich hinter einem Gebüsch versteckt und konzentrierte mich darauf, den Geruch meiner Freunde vorauszuahnen.

In Alarmbereitschaft senkte ich den Kopf und presste mich so flach wie möglich auf den Waldboden. Durch die Blätter sah ich wie Dylan ihre Schritte verlangsamte und nach mir Ausschau hielt. Bradley lief neben ihr und überflog das Gelände. Als sie sich unbeobachtet fühlten, zog Bradley meine beste Freundin in seine Arme und stahl ihr einen Kuss.

Die beiden würden es nie zugeben, aber sie waren schon seit langer Zeit ein Paar. Ich war die einzige, in deren Nähe sie körperliche Zärtlichkeit austauschten. Denn sie wussten, dass ich nicht viel davon hielt und sie deshalb nicht damit aufziehen würde. Für mich machte es keinen Unterschied, ob sie sich küssten oder nicht. Solange sie in den wichtigen Momenten bei der Sache waren, mischte ich mich nicht ein!

Dylan grinste vor sich hin, als sie Bradley im Nacken packte und sich das nahm, was sie in dem Moment von ihm brauchte.

Ich schloss die Augen und wollte gerade aus meinem Versteck springen, als ich diesen fremden Geruch in mir aufnahm. Die Brise brachte den schwachen Duft eines ausgewachsenen Wolfes zu mir, und wenn ich mich nicht täuschte, war er ganz in der Nähe. Mein Körper versteifte sich, als ich die Gegend mit wachsamem Blick absuchte, aber ich konnte kein anderes Wesen sehen.

Wilde Wölfe waren zwar nichts Seltenes, aber kein Tier, das bei vollem Verstand war, näherte sich der Stadt über den nördlichen Waldteil, denn in diesem wimmelte es nur von Infizierten.

 

Ich sprang aus dem Gebüsch und rannte zu dem verliebten Paar, stupste Dylan mit dem Kopf am Knie an, aber sie reagierte nicht. Durch mein Jaulen erhielt ich zwar ihre Aufmerksamkeit, aber Dylan tätschelte mir nur den Kopf, als wollte sie mich damit milde stimmen.

Als der Geruch des fremden Wolfes stärker wurde, begann ich zu knurren. Es war eine Warnung! Für meine Freunde und für den Wolf.

„Was ist los?“ Bradley löste sich von Dylan und schob seine Freundin hinter sich. Als er mit der Nase witterte, vergrößerten sich seine Pupillen, denn als Gestaltenwandler konnte auch er den Eindringling riechen, egal, in welcher Gestalt er war. Ich stupste Dylan mit der Nase an, damit sie sich in Bewegung setzte. Bradley nahm ihre Hand und zog sie hinter sich her.

 

Ich folgte meinen Freunden mit einem Abstand von zehn Metern, falls der Wolf unseren Weg kreuzte, wäre ich diejenige, die das regeln würde.

Dylan und Bradley rannten in Richtung Stadt, aber rechts brach eine Gestalt aus dem Unterholz und schmiss mich auf den Rücken. Ich verbiss mich in dem hellen Fell, als wir über den Waldboden schlitterten und in einem Gebüsch landeten.

Das war nicht der Wolf, den ich gewittert hatte, da vor mir ein Leopard stand. Ein weiblicher Duft hing an dem Tier, aber ganz deutlich konnte ich es nicht riechen, immerhin könnte er trotzdem männlich sein und sich erst vor wenigen Minuten mit einem Weibchen gepaart haben.

Ich ließ ihn oder sie ungern aus den Fängen, aber Dylans Sicherheit stand momentan an oberster Stelle. Aggressiv knurrte ich, als ich mich von dem Tier entfernte. Ich zog den Duft in meine Nase und filterte einen schwachen süßen Duft heraus. Eindeutig weiblich!

Die Leopardin legte den Kopf schräg und schien sich über mich lustig zu machen, indem sie schnaubte und die rechte Pfote in die Erde grub, um mich damit zu bewerfen.

Das war doch nicht ihr Ernst!

Meine Antwort war ein Fletschen mit den Zähnen und die Leopardin wich erschrocken zurück. Sie, hatte wohl gehofft eine Spielgefährtin in mir zu finden, aber ich war wachsam, da der fremde Wolf eine viel größere Bedrohung war. Mit der Leopardin würde Bradley auch in menschlicher Gestalt zu Recht kommen. Selbst Dylan könnte mit ihren Hexenkräften Schaden anrichten und das Tier in die Flucht schlagen.

Dass der Wolf gefährlicher war, lag an den Charakterzügen der menschlichen Gestalt. Wir Wölfe waren dominierend und besitzergreifend, deshalb kämpften wir bis zum letzten Atemzug und verteidigten alles, was uns wichtig war. Leoparden und andere Gestaltenwandler waren uns im Kampf zwar ebenwürdig, aber sie ordneten sich schneller unter, als wir Wölfe.

Ich beleckte meine Zähne und fletschte meine Gegnerin an, die sich schnell aus dem Staub machte. Ich durfte mich auf diese Jagd nicht einlassen, also folgte ich dem Geruch meiner Freunde, die gut fünfzig Meter vor mir waren. Aber warum hatten sie angehalten?

 

Als ich durchs Unterholz brach, wusste ich warum.

 

Bradley hatte Dylan hinter sich geschoben, ein schwarzer Wolf mit grauem Schweif stand vor den beiden und versperrte ihnen den Fluchtweg zurück zur Stadt.

Mit einem Satz sprang ich vor Bradley und knurrte den Wolf an. Unbeeindruckt lief er auf und ab, als würde er auf etwas warten. Rote Augen versuchten mich mit hasserfüllten Blicken zu dominieren, aber ich würde mich auf keinen Fall unterwerfen! Auch wenn er größer und schwerer war, als meine zierliche Gestalt, das war mir egal. In menschlicher, sowie in wölfischer Gestalt würde ich mich mit jedem messen, der sich mir in den Weg stellte. Ob Mensch, Tier oder Wesen!

Ich witterte und erkannte den Geruch des Leoparden, sowie einen weiteren fremden Gestaltenwandler. Sie waren zu dritt! Natürlich! Wieso sollte ich auch mal Glück im Leben haben?

 

Ich fauchte und warnte den Wolf, aber er blieb ruhig und schien die Situation zu beherrschen. Er war gute fünfzig Kilo schwerer als ich und schien mich zu unterschätzten. Auch wenn ich so schwach aussah, war ich tödlich!

„Adriana!“

Ich hob den Kopf und sah über die Schulter, wo Bradley und Dylan mir den Rücken zugewandt hatten, denn die Leopardin und ein weiterer Jaguar näherten sich den beiden von hinten.

Wütend griff ich den Jaguar an, da er direkt in meiner Reichweite lungerte und sich zu spät wehrte. Ich jagte meine Zähne in seine Schulter, schüttelte seinen Körper und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Trotz der dreißig Kilo unterschied schaffte ich es, ihn wütend gegen einen Baumstumpf zu schleudern, wo er auch liegen blieb. Als ich erneut angreifen wollte, sprang mir die Leopardin in den Weg, der Wolf näherte sich von rechts.

„Adriana!“ Dylan schrie nach mir, aber ich war voll im Kampfmodus. Das war mein Revier! Die Eindringlinge waren in meinem Gebiet! Diese drei Gestaltenwandler hatten sich an uns herangeschlichen, als wären wir die Beute.

Der schwarze Wolf knurrte und kam auf mich zu, aber ich würde nicht zurückweichen! Statt sich den Dreien zu unterwerfen, wappnete ich mich für den nächsten Kampf. Ich würde bis zum Schluss kämpfen, denn ich war noch nie einem Streit aus dem Weg gegangen. Vielleicht war das der Grund, warum ich immer zwischen die Fronten geriet?

„Verdammt Adriana!“ Dieses Mal war es Bradley, der an meinem Schwanz zog und im Gegensatz zu Dylan, auch nicht los ließ. „Ich denke sie haben es kapiert!“

Kapiert? Von wegen!

Der Wolf näherte sich immer noch vorsichtig und uns trennten nur noch drei Meter. Ich grub die Hinterpfoten in die feuchte Erde und setzte zum Sprung an, als Bradley mich fester am Schwanz packte und nach hinten zerrte. Wütend schnappte ich nach der Hand meines Freundes, der aber auch dann nicht losließ, als ich seine Hand zwischen den Zähnen hatte und Blut aus der Wunde sickerte. Ich erhöhte den Druck, aber er zog an meinem Schwanz, als wäre ich ein Kuscheltier.

„Lass sie sich einfach zurückziehen. Du hast bewiesen, dass du ihre Anwesenheit hier nicht duldest.“ Bradley zog meinen adrenalindurchtränkten Körper über den Waldboden, wogegen ich mich nun nicht mehr sträubte. Wäre ich in menschlicher Gestalt gewesen, hätte ich ihm den Mittelfinger gezeigt.

 

Zwanzig Meter musste Bradley mich von den Gestaltenwandlern weg ziehen, bis meine menschliche Seite das Denken übernahm. Dylan hatte bereits meine Sachen zusammengesucht und als Bradley mich endlich losließ, sprang ich über eine Pfütze und verwandelte mich im Sprung zurück in die menschliche Hülle. Diese plötzliche Wandlung bedeutete für den nächsten Tag Kopfschmerzen, da mein Körper zu schnell von einem ins andere gerissen wurde. Schmerzen hin oder her, ich musste weg!

Slip und Hose zog ich nacheinander über die Hüften, auf den BH verzichtete ich und zog mir gleich das T-Shirt über den Kopf. In die Schuhe schlüpfte ich hinein und setzte mich dann in Bewegung.

„Was hast du dir bloß dabei gedacht?“ Dylan schlug mir auf den Oberarm, als ich mir mit den Fingern durchs Haar fuhr. „Ein Jaguar, ein Leopard und ein riesiger Wolf? Dass du es mit ihnen aufnimmst, da bin ich mir sicher. Aber wie hättest du Lucas die Verletzungen erklärt?“

Es wäre nicht das erste Mal gewesen, das ich mit Schürfwunden oder schweren Verletzungen nach Hause kam, aber für all die Male hatte ich eine gute Entschuldigung parat. Wie hätte ich Lucas erklären sollen, dass ich mich mit drei Gestaltenwandlern vor der Mauer angelegt hatte? Wie hätte ich ihm erklären sollen, dass ich mich unbemerkt vor die Mauer schlich?

„Sie waren in meinem Revier!“, zischte ich, weil meine beste Freundin überhaupt nicht nachempfinden konnte, wie weit Gestaltenwandler gingen, um ihr Territorium zu verteidigen. Bradley verstand mich. Dennoch schlug er sich wie auf die Seite seiner Herzensdame. In solchen Situationen wünschte ich mir, dass die beiden kein Paar wären!

„Drei gegen eine! Das war nicht fair!“, maulte Dylan und nahm meine Hand. Sie wusste genau, wenn ich mich erneut aufregte, würde ich umkehren und diese Sache klären. Dann wäre es allerdings nicht nur eine kleine Warnung, sondern es würde Blut fließen!

„Adriana! Komm wieder runter!“, wies Bradley mich an, aber ich war auf hundertachtzig! In meinen Fingern kribbelte es und ich wusste, wenn ich dem Drang nachgab, würde Lucas mir in den Hintern treten.

Während mein Blick starr nach vorne gerichtet war, waren die restlichen Sinne immer noch in Alarmbereitschaft. Meine Nase teilte mir mit, dass wir verfolgt wurden. Die Ohren verrieten mir, dass die Gestaltenwandler sich leise bewegten!

Meine Hände ballten sich zu Fäusten, und als ich langsamer wurde, schubste Dylan mich an der Schulter. „Lauf, du hast für heute genug!“

Ich sah über die Schulter in den Wald. Die roten Augen des Wolfes lauerten in einem Gebüsch, keine dreißig Meter von uns entfernt. Es schien so, als wartete er auf eine Chance, dass wir Raubtiere es zu Ende bringen konnten. Er war nur einen kurzen Sprung entfernt, aber wenn ich sofort losrennen würde, könnte ich ihn erreichen, bevor Dylan mich überhaupt zu fassen bekam.

„Adriana!“, knurrte Bradley zwischen seinen Zähnen hervor. „Vergiss es!“ Als könnte er meine Gedanken lesen, das lag einfach daran, dass er es wirklich konnte. Wir waren Freunde, ein Rudel und durften unsere Gedanken teilen, da wir einander akzeptieren.

*Hör auf, an diesen scheiß Wolf zu denken. Er ist es nicht wert!* Bradley sprach mit mir auf der höheren Ebene, damit seine Herzensdame es nicht mitbekam. Dylan hätte mir gehörig den Marsch geblasen, wenn sie erfahren hätte, wie gerne ich erneut auf Konfrontation gegangen wäre.


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